NACHBAR SCHAFT ÄRGER

28. Okt 2025,

NACHBAR SCHAFT ÄRGER
NACHBAR SCHAFT ÄRGER

Im Haus des Nachbarn war es vier Jahre lang relativ ruhig. Das ältere Ehepaar nebenan war kaum zu bemerken – abgesehen von gelegentlichen Gesprächen am Gartenzaun. Keine lauten Partys, nur stille Anlässe im klassisch-gehobenen Stil.

Enorm angenehm.

Im Januar zogen neue Leute in das Haus nebenan. Das war hör- und spürbar. Noch schlimmer war das Sichtbare. Der Rüpel nebenan machte seinem Namen alle Ehre.
Ja, ich spreche vom südlichen Nachbarn, dem bisher schlafenden Elefanten, der nun auf Speed zu sein scheint – und 24/7 in der Nachbarschaft herumrüsselt.

Nun, zunächst verliess Justin Trudeau im März das Haus und überliess es dem neuen Premierminister Mark Carney.
Ein ruhiger Konservativer, der für die Liberalen ins Rennen stieg – und gewann.
Und dieser ruhige Banker geht mit dem ungehobelten Nachbarn auf eine Weise um, die Schule machen sollte: Mark strategisiert, während der Pöbler in Vollmontur die ganze Welt bestrafen will. Die ganze Welt? Nein, Russland natürlich nicht.

Ich werde von meinen Schweizer Freund:innen oft gefragt, wie wir Kanadier:innen mit diesem Pöbler und der unerfreulichen Situation umgehen.
Nun, wir tun genau das: Wir umgehen ihn.

Ein Drittel kanadischer Tourist:innen meiden die USA als Ferienziel.
Wein und Spirituosen aus den Vereinigten Trauben von Amerika sind zu 97 % aus den Regalen verschwunden.
Die kanadischen Winzer dagegen jubeln über verdoppelten Umsatz.

Ein kleiner Hinweis auf die Stimmung im Land: Das Vertrauen der Kanadier:innen in die USA ist im Keller – bei mageren 17 %.

Kanadier:innen sind freundlich und zuvorkommend – bis zu einem gewissen Punkt.
Ab dann wird die Freundlichkeit durch Elbows Up, eine Hockey-Verteidigung, ersetzt.
Oder, auf gut Englisch: Canadians are pissed off.

Und wie macht sich Mark Carney im Umgang mit dem Trumpel nebenan?
Nun, seine Reden sind trocken, aber prägnant. Der Premierminister weiss, wie man Rhetorik – oder besser: Feinrhetorik – strategisch einsetzt.

In seiner Rede in Kuala Lumpur anlässlich der ASEAN-Plenarversammlung positionierte er Kanada als verlässlichen und wertebasierten Partner – genau das, was bei unserem Nachbarn zunehmend verloren geht.

Mark Carney ruft nach einer globalen Wirtschaftsordnung, die auf Regeln für offenen Austausch von Waren, Kapital und Ideen basiert.
Kanada ist vom einst stillen Mitläufer der US-Politik zu einem Mitgestalter auf der Weltbühne geworden.

Carney agiert wie ein erfahrener Banker:
Er diversifiziert – jenseits der USA, um Risiken zu streuen.
Damit gewinnt Kanada an Souveränität – entscheidend in Zeiten, in denen wieder vom „51. Staat der USA“ die Rede ist.

Wirtschaftlich verfolgt er klare Ziele: Die Verdoppelung der kanadischen Exporte, den Ausbau sauberer Energie und den Aufbau einer starken Verteidigung durch internationale Kooperation.

Derzeit sieht es ganz danach aus, dass Kanada sich einen Platz als eigenständiger, verlässlicher Partner in Südostasien sichert.

So gut das klingt – wir machen uns dennoch ähnlich grosse Sorgen wie der Rest der vernünftigen Welt.
Und doch, was mich – den Neukanadier – immer wieder fasziniert:
Wir kuschen nicht.
Wir küssen den Ring unseres pöbelhaften Nachbarn nicht.
Wir halten die Tür für Gespräche offen – wissen aber, dass mit diesem Bewohner im Nachbarhaus weder Vertrauen noch Sicherheit aufzubauen ist.

Aber:
Wir lieben unsere amerikanischen Nachbarn – die regulären Bürgerinnen und Bürger der Vereinigten Staaten von Amerika.

“Hey, you – our American friends.
Please, remember who you are.
As citizens of the Land of the Free, you have a claim to freedom, democracy, and integrity.
Protest against fascism and authoritarian behaviour – and give the resident of that white house the well-deserved kick he’s earned.
You’ll have the chance in 2026.
Use it.

Until then, keep raising your voices in your wonderful, peaceful marches.
We’re doing the same – here, in the strong, free, and proud North.
Promise.”

(„Hey, ihr – unsere amerikanischen Freunde.
Bitte denkt daran, wer ihr seid.
Als Bürger des Landes der Freiheit habt ihr ein Recht auf Freiheit, Demokratie und Integrität.
Protestiert gegen Faschismus und autoritäres Verhalten – und gebt dem Bewohner des Weißen Hauses den wohlverdienten Tritt, den er verdient hat.
Die Chance dazu habt ihr 2026.
Nutzt sie.

Bis dahin erhebt weiterhin eure Stimmen in euren wunderbaren, friedlichen Demonstrationen.
Wir tun dasselbe – hier, im starken, freien und stolzen Norden.
Versprochen.“

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