HANS ISLAND

30. Okt 2025,

HANS ISLAND
HANS ISLAND

Streitigkeiten sind das tägliche Allerlei der menschlichen Existenz – und ihrer Nebenwirkungen. Denn Menschliches wie Empathie, Respekt und Humor sind die wunderbaren Nebenprodukte des Homo sapiens – jenes Prototyps, der uns seit ein paar Jahrtausenden durchgefüttert hat.

Übrigens: Ich mache mir stets einen Spass daraus, über unsere Vorfahren zu reden.
Dabei lege ich immer eine kleine Pause zwischen Homo und Sapiens ein, während ich die Gesichter meiner Zuhörer:innen beobachte.
Da passieren wunderliche Dinge: manche Mienen entgleisen, andere lassen die Augenbrauen tanzen – und einige lächeln einfach.
Mir ist bis heute unklar, weshalb das Wort “Homo” solche Reaktionen auslöst.
Schliesslich sind wir alle Homo – Mitglieder derselben Familie der Homo sapiens.

Aber ich schweife ab.
Zurück zu Streitigkeiten – und zu Hans und Island.

Dieser Hans existiert nicht wirklich.
Er ist Teil des Namens einer kleinen Insel zwischen Kanada und Grönland.
Ein Felsbrocken, kaum 1,3 Quadratkilometer gross – und doch jahrzehntelang Anlass für diplomatische Spannung zwischen Kanada und Dänemark (denn Grönland gehört zu Dänemark).

Seit 1970 beschäftigt dieser Felsen die beiden Regierungen.
Damals legten Kanada und Dänemark ihre Seegrenze im Arktischen Ozean fest – eine Linie von über 1.400 Seemeilen.
Und genau mitten auf dieser Linie liegt Hans Island.
Ein Fels ohne strategischen Wert, ohne Bevölkerung, ohne Nutzen – aber mit grossem Symbolwert für Souveränität.

Auf der Insel lebt niemand. Kein einziger Vertreter der Homo sapiens.
Doch beide Länder legten immer wieder Argumente auf den Tisch:
Dänemark berief sich auf alte Seekarten und Fischereipraktiken, Kanada auf die geografische Nähe zur Ellesmere-Insel.
Eine Lösung gab es jahrzehntelang nicht.
Dafür aber eine der charmantesten Kriegsgeschichten der modernen Menschheit.

1984 beschloss die kanadische Regierung, auf Hans Island eine Flagge zu hissen – samt einer Flasche kanadischen Whiskeys.
Eine freundliche Geste, aber mit klarer Botschaft: Das hier ist Kanada.
Ein Jahr später kamen die Dänen, nahmen die kanadische Flagge herunter, setzten ihre eigene – und hinterliessen eine Flasche dänischen Schnaps.
So begann der wohl friedlichste Schlagabtausch der Weltgeschichte.

Diese Tradition wiederholte sich über Jahre hinweg.
Jedes Mal, wenn eine Delegation die Insel besuchte, wechselten Flagge und Flasche die Nationalität.
Als die Weltpresse davon erfuhr, feierte sie diesen “Whiskey War” als Paradebeispiel für humorvolle Diplomatie.

Die Inuit-Gemeinschaft, die die Insel traditionell “Qaqortoq” nennt, nutzte sie zum Jagen und Fischen.
Bei den Verhandlungen wurden ihre Vertreter selbstverständlich einbezogen – wie es sich gehört.

Anfang der 2000er-Jahre begannen die eigentlichen Friedensgespräche, die ganze siebzehn Jahre dauerten – mit Rechtsexperten, Geologen und Inuit-Delegierten.
Und dann, vor drei Jahren, kam die Einigung:
Hans Island wurde friedlich geteilt.
Die Grenze verläuft exakt entlang eines natürlichen Spalts im Felsen – der war schon immer da.
Die Spaltung kam später.

Dieser symbolische Akt der Einigung wurde gross gefeiert – mit einer wunderbar passenden Geste:
Die Delegationen aus Kanada und Dänemark tauschten Umarmungen und, natürlich, Flaschen aus.

Warum mir diese Geschichte gefällt?
Weil hier ein territorialer Streit nicht in Blut, Leid oder Waffen endete.
Sondern in Humor, Respekt und Augenhöhe.

Eine Lösung, die zeigt, wozu der Homo sapiens fähig ist, wenn er sich Mühe gibt:
Zusammenarbeit statt Aggression.
Würde statt Waffen.
Whiskey statt Krieg.

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